Beschreibung
Hans-Joachim Arndt, war bis 1945 aktiver Marineoffizier und Teilnehmer am 2. Weltkrieg, zuletzt auf dem Torpedoboot T 16. Seine Zeit als Soldat bestimmte auch die Entwicklung seines Forschungsinteresses bis hin zur Einführung der Politischen Lageanalyse in die Politische Wissenschaft. Die messerscharfe Analyse der jeweiligen Lage, die Voraussetzung erfolgreichen militärischen Handelns ist, sollte sein ganzes Leben begleiten. Sein Studium der Nationalökonomie und der Soziologie führte nach St. Louis und Harvard, nach Paris und Heidelberg. Neben seinen akademischen Lehrern Alfred Weber, W.Y. Elliot und Henry Kissinger führte es ihn früh schon zu Carl Schmitt und zu umfangreichen Kontakten mit Intellektuellen, die später die Geisteswissenschaften der jungen Bundesrepublik prägten, wie Rüdiger Altmann, Erwin Faul, Ernst Forsthoff, Arnold Gehlen, Hanno Kesting, Armin Mohler, Roman Schnur, Nicolaus Sombart, Jacob Taubes und Friedrich Tenbruck. Forsthoff war es im übrigen, der nach mehreren Versuchen der Heidelberger Universität, einen Nachfolger für den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft von Carl Joachim Friedrich zu berufen, 1968 die Angelegenheit in die Hand nahm und Arndt überredete, seine berufliche Tätigkeit in der Unternehmerbildung zugunsten der Übernahme eines Lehrstuhls aufzugeben. So kam Arndt an das Heidelberger Institut für Politische Wissenschaft, das sich gerade zu einem Brennpunkt der Studentenradikalisierung in Deutschland entwickelte.
Viel Zeit zur Akklimatisierung in diesem aufbrodelnden Hexenkessel gewährte man Arndt nicht – und er ließ sich hinsichtlich seiner Standhaftigkeit auch nicht lange bitten. Schon seine Antrittsvorlesung zum Thema „Verfassungsstandard und Gebietsstatus“ war ein Paukenschlag für den, der es verstehen wollte. Hier offenbarte sich bereits Arndts anormativ-historisches Verständnis der Politischen Wissenschaft, wenn auch auf einem relativ abstrakten Feld. Deutlicher wurde er in seinen Lehrveranstaltungen, in denen er die Politische Lageanalyse zur Anwendung brachte. Trotz aller Anfeindungen waren seine Vorlesungen zur „Geschichte der politischen Ideen“ ständig überfüllt, waren – wie ein Zeitzeuge berichtet – „für jeden Hörer eine Genuß und eine Ahnung von dem, was die deutsche Universität einmal war, bevor sie anfing, Scheine zu verteilen“. In den Jahren bis 1973 avancierte er aufgrund seiner Courage, die Dinge beim Namen zu nennen, zunehmend zur expliziten Zielscheibe (im Sinne des Wortes) der Heidelberger „Revolutionäre“. 1972 sah er sich gar zur Unterbrechung seiner Lehrtätigkeit gezwungen; sowohl sein Fachverband wie auch die baden-württembergische Landesregierung zeichneten sich dabei durch mangelhaftes Stehvermögen aus.
Der Bruch mit der Gesellschaft für Politische Wissenschaft, die Arndt 1973 verlassen hatte, manifestierte sich in seinem 1978 erschienenen Hauptwerk „Die Besiegten von 1945“, mit dem er den „Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ vorlegte. Das war eine Herausforderung und machte Arndts Verständnis von einer „politischen“ Wissenschaft deutlich: Ihre Aufgabe könne allein darin liegen, anormativ und historisch die jeweilige konkrete Lage eines konkreten politischen Subjekts zu analysieren und damit der Politik konkrete analytische Hilfen an die Hand zu geben. Arndts Subjekt waren die Deutschen in der politischen Lage der Zeit nach 1945. Demgegenüber hatte die etablierte „Politische Wissenschaft“ in der Bundesrepublik das Situationsbewußtsein der Deutschen, „ein besiegtes Volk zu sein“, durch wissenschaftlich nicht ausgewiesene Abstraktionen und Systemkonstrukte verdrängt. Damit aber konnte sie sich keine Klarheit über ihren Gegenstand schaffen, ließ sie doch die Subjekte der Politik – Staaten, Nationen, Verbände usw. mit ihren historisch gewachsenen einzigartigen Lagen – in abstrakten, universell geltenden Systemmodellen verschwinden. Schlimmer noch: Sie leitete dann aus diesen Modellen wiederum universell geltende Aussagen ab, die keinen Bezug zur Realität der Politiksubjekte aufweisen. Was das für Arndts Subjekt bedeutete, war eindeutig: „Jedenfalls scheint uns die Konzentration oder gar Beschränkung einer Politikwissenschaft auf diesen Systemansatz geeignet (und besonders dann, wenn er als abgeschlossen, vollständig zur Erklärung des Politischen gilt), um ‘Deutschland’ nach 1945 mit einem politischen Bewußtsein auszustatten, ohne daß überhaupt die Frage nach dem ‘wer’, nach der Identität, ins Spiel gebracht zu werden brauchte. So haften denn der Politischen Wissenschaft wie der politischen Bildung in starkem Maße Elemente einer abstrakten Regel- oder Normenordnung an, die für ‘jedermann’ Geltung haben sollte, dies aber nicht in überzeugender Weise leistete, eben weil die Deutschen als Besiegte von 1945 nicht ‚jedermann‘ waren.“
Das Verdikt seitens des etablierten Wissenschaftsbetriebes war total. Rasch wurde Arndt zum Feind der Zunft erklärt, der er doch selber angehörte. Er aber legte noch nach: Im Auftrag der Bayerischen Staatskanzlei legte er 1981 ein wissenschaftliches Gutachten über „Die staatlich geförderte Friedens- und Konfliktforschung“ vor, das unter den von solch wirklichkeitsfremden Brahmanismus lebenden „Kollegen“ zu lautem Wutgeschrei führte. Bis zu seiner Emeritierung und noch darüber hinaus sollte sich das Verhältnis nicht mehr einrenken. Assistenten wurden bis in den Selbstmord getrieben, Schülern versuchte man nicht nur die akademischen Weihen, sondern auch jede berufliche Zukunft zu verwehren. Arndt jedoch blieb standhaft, auch, weil in den letzten anderthalb Jahrzehnten zunehmend wieder Schüler auftauchten, denen er das analytische Werkzeug an die Hand gab.
Am 3. Oktober 2004 ist Hans-Joachim Arndt im 82. Lebensjahr verstorben. Gegen jede heuchlerische Stellungnahme der Heidelberger Universität hat er sich verwahrt. Nicht verhindern konnte er die leider schon in den Todesanzeigen beginnenden Versuche, ihn für politische Stellungnahmen mißbrauchen zu wollen. Arndt war persönlich ein Mann von Format und Geist. Als akademischer Lehrer war er brillant und souverän. Fachlich war er Nominalist und Etatist – „politisch“ aber war er nicht, eher schon ein Anarch der deutschen Geisteswissenschaft.
Zu seinem 70. Geburtstag am 15. Januar 1993 erschien im San Casciano Verlag eine Festschrift – auch als kleine Huldigung an einen großen Denker der nachkriegszeitlichen Politikwissenschaften der Bunderepublik.
Das Buch liegt seit 2014 auch als gedruckte Hardcover-Ausgabe vor und umfaßt folgende Beiträge:
Hans-Joachim Arndt: Politische Lageanalyse;
Volker Breismann: A la lecherche du temps perdu oder Beamtentum und Zeitgeist;
Dieter Blumenwitz: Der Streit um den Grundvertrag. Gedanken zum Verfassungsprozeß nach der Erlangung der staatlichen Einheit Deutschlands;
Gottfried Dietze: Bürde Würde;
Julien Freund: Le paradoxe des conséquences (franz.);
Robert Hepp: Different but equal. Aristotelisches zur Demokratie im Übergang vom DNS zur MKG;
Helmut Kamphausen: Innerdeutsches Bewußtseinsgefälle. Die fehlende nationale Solidarität westlich der Elbe und Werra;
Endre Kiss: Vorhersehbarkeit und Dezisionismus in der Geschichte. Von einer Kategorie Carl Schmitts im postsozialistischen Systemwechsel;
Markus Josef Klein: Machiavellis Lageanalyse. Die Lehre von der Behauptung im Politischen;
Panajotis Kondylis: Utopie und geschichtliches Handeln;
Jean-Jacques Langendorf: La forteresse décryptéele, chiffre démantelé. De l’identité des systèmes fortificatoires et crytologiques dans la défense de l’Etat (franz.);
Günter Maschke: Das bewaffnete Wort. Mythos der Erziehung und revolutionäre Gewalt – der »Leuchtende Pfad« in Peru;
Armin Mohler: Lehre und Leere des Liberalismus;
Reinhold Oberlercher: Zerlegung der Lage. Axiomatische Bemerkungen zum Lagebegriff des Politischen;
Helmut Quaritsch: Apokryphe Amnestien;
Hans-Dietrich Sander: Das Gastmahl des Leviathan – Praefatio cenae;
Hans Schneider: Situationsbedingtes Handeln;
Caspar von Schrenck-Notzing: Die Re-education. Von der Propaganda zur Politischen Kultur;
George Schwab: Carl Schmitt Hysteria in the United States. The Case of Bill Scheuerman (engl.);
Reinhold Schwickert: Neue Wirklichkeit und alte Sinngestalt. Die Bonner Republik unter Bedingungen des Umbruchs in Europa;
Walter Seitter: Ritterliche, widerspenstische Theologie in der »Kindheit Jesu« des Konrad von Fussesbrunnen;
Friedrich Tenbruck: Soziologie und Moderne. Eine nötige historische Besinnung;
Piet Tommissen: Über die satirischen Versuche Carl Schmitts;
Rudolf Übelacker: Zur Problematik der Verträge von Maastricht und zur Europäischen Zentralbank;
Paul Weber: Zwischen den Stühlen;
Karlheinz Weißmann: Dennoch die Schwerter halten. Zeitverständnis und Geschichtsdenken rechter politischer Weltanschauungen.
klausi –
Zu Wort melden sich hier weniger die Vorzugsschüler deutscher Politikwissenschaft als die Enfants terribles. Hinzu kommen Soziologen, Philosophen, Staatsrechtslehrer, unter ihnen Doyens ihres Faches. … Der eine oder andere Text spottet den Geboten der political correctness, nach denen sich die deutsche Schweigespirale dreht. Die Neue Betulichkeit wird hier nicht gepflegt. Habermasiaden werden nicht als Lageanalysen gehandelt. Vorsichtige Bewohner der politischen Mitte mögen zuweilen berührungsängstlich auf rechtes Gedankengut reagieren (obwohl eine Mitte, die allein einen linken Vorhof besitzt, sich unversehens als rechte Ecke wiederfinden dürfte). Doch die 26 Beiträge der Festschrift lassen sich nichtüber einen Kamm scheren. Sie enthalten rechte und linke Elemente, konservative und progressive, moderate und provozierende, amüsante und ärgerliche – alles, nur keine langweiligen.