Der tote Preuße
Das verkörperte Abbild des 20. Jahrhunderts:
Vor 46 Jahren starb der Schriftsteller Ernst von Salomon
von Markus Klein
Als „zu menschlich für Hitler“ – so charakterisierte Carl Zuckmayer Ernst von Salomon in seinem Dossier über deutsche Künstler und Intellektuelle 1943/44 im Exil für den amerikanischen Geheimdienst. „Zu menschlich“ ist sicher der falsche Begriff, aber wie anders hätte Zuckmayer den US-amerikanischen Universalisten Salomons Nominalismus verdeutlichen sollen?
Universalisten und Nominalisten sind nach Armin Mohlers Definition antagonistische Menschentypen. Der Universalist glaubt, daß der Wirklichkeit eine geistige Ordnung zugrunde liegt. Diese kann er nicht nur durchschauen, sondern auch definieren und formulieren. Er kann also auch seine Handlungen mit dieser universalen Ordnung in Übereinstimmung bringen, sie somit gar ordnungsphilosophisch und heilsgeschichtlich legitimieren. Der Nominalist hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß für ihn die Allgemeinbegriffe dem Wirklichen durch den Menschen erst nachträglich verliehen worden sind. Hinzu kommt, daß er weder den Kampf als jederzeit vermeidbar ansieht, noch ihn scheut, noch davor zurückschreckt, seinen politisch-existentiellen Feind („hostis“) – den er durchaus schätzen kann – im entscheidenden Falle zu vernichten. Keinesfalls jedoch (im Unterschied zum Universalisten) würde er einen nicht politisch-existentiellen Feind („inimicus“) nur deswegen vernichten, weil dieser dem Glauben an eine andere geistige Ordnung anhängt.
Wie sehr die Amerikaner (und unterdessen auch das deutsche systemtragende Establishment) Universalisten sind, wird heute im Krieg gegen „das Böse“ auf der Welt deutlicher denn je. Wer wollte, konnte es jedoch auch schon nach dem Zweiten Weltkrieg erkennen. Ernst von Salomon war einer, der dies damals schon gesehen hat: „Ich schreibe jetzt, weil ich eine Zeit überbrücken will, bis wieder die Möglichkeit besteht, anständige Filme zu machen, und weil ich was gegen die Amerikaner habe, und das muß heraus, sonst platze ich.“
Heimat bedeutete ihm nichts, Identität alles
Was dabei herauskam, war „Der Fragebogen“ von 1951 – und der war ein Fanal. Ernst von Salomon schrieb in ihm die Geschichte der ersten fünfzig Jahre des 20. Jahrhunderts, das „Wie-es-gewesen“-ist, einen – im Sinne Theodor Lessings – „Teppich, geknüpft aus Fäden aller Art“. Mit bitterbösem Zynismus führte er durch seine Ausführlichkeit den Entnazifizierungsfragebogen der Amerikaner ad absurdum und setzte gleichzeitig zum Kampf um die Identität der Deutschen nach der zweiten deutschen Niederlage in jenem Jahrhundert an, den er schon nach der ersten so vehement begonnen hatte.
Damals schon hatte Ernst von Salomon auf sich aufmerksam gemacht, zunächst durch Taten in den Reihen der „Phantasten der Tat“, wie sie Herbert Cysarz genannt hat, und seit 1930 durch eine Trilogie des deutschen Nachkrieges. Nichts anderes hatte ihn hier schon zur Niederschrift veranlaßt, als was ihn zum „Fragebogen“ zwang: Die Suche nach der eigenen Identität und die der Deutschen, die sich nur durch die Erzählung finden lassen konnte – um sie hernach den universalistischen Ansprüchen der Siegermächte entgegenzusetzen.
Selbst wer zur Zeit des „Neuen Nationalismus“ Ende der zwanziger, Beginn der dreißiger Jahre, noch um seine literarisch verbrämten Paukenschläge herumgekommen war, den „Fragebogen“ konnte keiner umgehen. Er stand als Monument souveränen deutschen Daseinsanspruches jeder ideologisch und geschichtsphilosophisch hergeleiteten Geschichtsschreibung entgegen. Er demaskierte die heilsgeschichtlich begründeten Legitimationen und die damit einhergehende und durch Begriffsumbesetzung funktionalisierte Pauschal- und Kausalgeschichtsschreibung. Ernst von Salomon reklamierte so erfolgreich bis zu seinem Lebensende für sich, „den Deutschen“ Stimme und damit Anspruch auf eigene Existenz (im Sinne eines politischen Subjekts, nicht eines Objekts) zu verleihen: „Heute bin ich ein Vertreter der fünften Zone, der deutschen Zone, der Deutschen, die in der Zerstreuung leben wie die Juden. Wollen Sie etwas davon wissen? Der – täuschen wir uns nicht – weitaus größere Teil der Deutschen, der heute stumm ist, abwartend, mißtrauisch, angegriffen, ohne sich verteidigen zu können, wo er wirklich Verantwortung trug, kann nicht einfach als nichtexistent betrachtet werden. Ich habe das Glück, nicht zu diesen zu gehören, und von ihnen gehört zu werden.“
Vor nunmehr einhundert Jahren wurde Ernst von Salomon am 25. September 1902 im damals preußischen Kiel geboren. Was ihn prägte, war die preußische Haltung, die Strenge gegen sich selbst, die preußischen Tugenden, und nicht zuletzt der „Preußische Sozialismus“. Um diesen Staatsgeist Preußens drehte sich sein ganzes Leben; er war sein Ziehvater, sein Mythos, sein Ziel, und nicht zuletzt sein Surrogat für die zerstörte deutsche Identität. Heimat bedeutete ihm nichts, Identität alles. Dazu trug neben dem Elternhaus vor allem seine Erziehung im Königlich-Preußischen Kadetten-Vorkorps bei. Hier lernten die Kadetten staatliche Tugenden, bis sie durch Erlaß der alliierten Machthaber in Deutschland Ende 1918 in den tobenden Bürgerkrieg als mißbrauchte Akteure hineingeworfen wurden.
Auf Seiten der Sozialdemokraten in einem der von ihnen ins Leben gerufenen Freikorps glaubten er und seinesgleichen, unter deren Parole „Kampf dem Bolschewismus“ den Staat zu schützen gegen internationalistische Bestrebungen. Die gleichfalls staatsauflösenden Tendenzen des liberalen Parteienstaates blieben den Freikorpskämpfern zunächst verborgen, und so ließen sie sich zum ersten Male in diesem Jahrhundert zu Zwecken mißbrauchen, die nicht die ihren waren, die ihrem Staatsdenken geradezu konträr waren. Sie schlugen im Auftrag der selbsternannten Regierung kommunistische Aufstände nieder, übten Polizeiaktionen aus und wurden unwissentlich zu Parteigängern einer ideologisch bestimmten Bürgerkriegspartei im Ringen um die Macht in Deutschland. In Weimar jedoch, eingesetzt zum Schutze der „Nationalversammlung“, merkte von Salomon erstmals, daß er hier fehl am Platze war.
Er desertierte ins Baltikum, wo erstmals seit dem Kriege deutsche Truppen wieder auf dem Vormarsch waren. Er glaubte Deutschland an der Front zu finden, doch diese Front war keine deutsche: Die deutschen freiwilligen Truppen kämpften im Auftrag und Interesse der Engländer gegen die Bolschewisten um die Sicherung des Nachkriegs-Status quo. Das begriffen sie indes erst, als die Engländer ihnen ob ihrer – über den eigentlichen Auftrag hinausgehenden – Erfolge in den Arm fielen und die deutsche Regierung sie fallen ließ (lassen mußte) und ächtete. Da eskalierte ihr Idealismus und wurde zum Exzeß. Die Anerkennung des Versailler Diktatfriedens machte sie innerlich frei. Sie glaubten sich als die letzten Deutschen überhaupt, wurden irregulär, kämpften und mordeten ohne Idee und ohne Ziel, bis sie sich geschlagen und verbittert um die Jahreswende 1919/20 ins Reich zurückziehen mußten. Hier aber erwartete sie Undank, Mißtrauen, ideologischer Haß und die Auflösung. So kam es, daß sie sich Kapp zur Verfügung stellten, der ohne Vorbereitung und völlig unzulänglich zu putschen versuchte. Als in der Folge des zwangsläufigen Scheiterns dieses Putsches die Gewerkschaften unter kommunistischer und internationalistischer Parole erneut die Macht in Deutschland zu übernehmen versuchten, ließ sich der Leutnant von Salomon als Zeitfreiwilliger in den Reihen der Wehrmacht, die das Ruhrgebiet „säuberte“, erneut von der sozialdemokratischen Regierung mißbrauchen.
Er glaubte, Deutschland an der Front zu finden
Anschließend trieb es ihn in die (in dem ihr zugedichteten Rahmen nie existente) „Organisation Consul“ in dem Irrglauben, in dieser geheimen Widerstands- und Terrororganisation gegen die französischen Besatzer und gegen deutsche Kollaborateure die Republik zu untergraben. Unterbrochen nur durch die Kämpfe um Oberschlesien im Sommer 1921, wo die Franzosen durch die Unterstützung Kongreßpolens versuchten, Deutschland auch vom Osten her zu schwächen, verselbständigten sich diese Widerstandskämpfer immer mehr und entglitten der Kontrolle der Reichswehr. Enttäuscht und desillusioniert über die Unzulänglichkeit des liberalen Staates, erneut manipuliert und mißbraucht durch alliierte Interessen und deren vorgeblich „deutsch-völkische“ Kollaborateure, verrannten sie sich in die Idee, durch politische Morde zugleich die Republik zu destabilisieren und die Grundlagen für eine „nationale Revolution“ zu legen.
Ihre Aktionen gipfelten nur zwei Monate nach Unterzeichnung des Vertrags von Rapallo, mit dem Deutschland und Sowjetrussland gemeinsam ihre jeweilige internationale Isolation durchbrechen und die Verhandlungsposition des Deutschen Reiches gegenüber den Westmächten stärken wollten, am 24. Juni 1922 im Mord an Walther Rathenau. In dem Juden Rathenau, der doch eigentlich „von vornherein auf der Seite seiner Gegner“ stand (Harry Graf Kessler), hatten sie geglaubt – und wurden darin bestärkt von den angesprochenen skrupellosen und zumeist deutsch-völkischen Parteipolitikern –, den einzig begnadeten Vertreter des Liberalismus zu erkennen, der der Republik Stabilität verleihen könnte und dies zum Schaden der Deutschen und zum Nutzen des internationalen Wirtschaftsimperialismus mißbrauchen würde. Aber eigentlich redeten sie sich nur etwas ein: „Es war die Demokratie, es war die politische Begründung, die wir suchten. Wir suchten welche – da war es, zum Beispiel – Erfüllungspolitik. Für uns war der Krieg nicht aus, für uns war die Revolution nicht beendet.“
Zu der Zeit, als Ernst von Salomon erkannt hatte, daß dies – im Sinne eines politischen Befreiungsschlages – nicht nur ein fataler und sträflicher Irrtum gewesen war, sondern daß er mit dem Mord auch gegen sein eigenes Gesetz, das Preußentum, verstoßen hatte, war es zu spät. Wegen Beihilfe zu Zuchthaus und Ehrverlust verurteilt, war die Zelle gleichwohl fruchtbar für ihn geworden. Hier sollte er sich lösen von den völkischen und ideologischen Manipulationen und Verblendungen, sollte beginnen, zu sich selbst zu finden. Weihnachten 1927 aufgrund einer Amnestie freigelassen, stieß er unmittelbar in Berlin zu den Kreises des „Neuen Nationalismus“ und geriet über seinen Bruder Bruno in die revolutionär-romantische Schleswig-Holsteinische Landvolkbewegung, der Hans Fallada in seinem Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“ ein Denkmal gesetzt hat.
Von September bis Dezember 1929 deshalb in Moabit erneut inhaftiert, schrieb Ernst von Salomon unter hartnäckigem Zusetzen von Ernst Rowohlt, der in Salomon den künftigen Erfolgsautor witterte, sein erstes Buch: „Die Geächteten“. Diese Autobiographie, „die zugleich so etwas wie eine Selbstbiographie der ganzen Zeit ist“ (Paul Fechter), verdiente, wie Ernst Jünger in einer Besprechung schrieb, schon deshalb gelesen zu werden, „weil es das Schicksal der wertvollsten Schicht jener Jugend, die während des Krieges in Deutschland heranwuchs, erfaßte“.
Der zweite Teil dieser Nachkriegstrilogie, die nahezu unlesbare und gleichwohl brisant-interessante „Stadt“, entstand 1932: „Die Stadt war ein Versuch, eine Bestandsaufnahme, eine Übung literarischer Art, bei der ich es auf ganz gewisse abseitige Probleme des Schreibens absah. Der Stoff ist sicher interessant, doch ohne Verbindlichkeit für mich; er diente mir nur zu einer Verschärfung aller Fragestellungen.“ Und der dritte Teil, der Abschluß seines „Neuen Nationalismus“, der zugleich sein literarisch schönstes Werk werden sollte, „Die Kadetten“, war in der so andersartigen Wiener Atmosphäre entstanden. Hier lernte von Salomon im Winter 1932/33 auf Einladung Othmars Spanns dessen Austro-Universalismus kennen, um sich darob seiner preußischen Herkunft und seines eigenen Nominalismus‘ nur um so bewußter zu werden: „Alle großen Bewegungen in der Welt, das Christentum wie der Humanismus, wie der Marxismus, sie alle werden von einer Art Krankheit befallen, eine göttliche Krankheit, der erhabenen Pest des ganzheitlichen Anspruchs. Das macht die Dinge so einfach für den, der sich bekennen will, und so schwer für den, der sie betrachtet. Ich, ich bin kein Bekenner, ich bin ein leidenschaftlich beteiligter Betrachter. So wurde ich kein Nationalsozialist, und so mußte ich mich von Othmar Spann trennen.“
Von Salomon repräsentiert die Wirren seiner Zeit
Zurück in Berlin, wo die NSDAP bemüht war, eine Stringenz zwischen sich und den Freikorps zu apologetisieren, war es erneut von Salomons vordringliches Anliegen, den Verfälschungen in der Geschichtsschreibung des Nachkrieges entgegenzuwirken. So entstanden seine beiden Bücher „Nahe Geschichte“ und das monumentale „Buch vom deutschen Freikorpskämpfer“ als Korrektive nationalsozialistischer Geschichtsklitterung. Als jedoch ernste Schwierigkeiten mit der NSDAP entstanden, zog er sich aus Rücksicht auf seine damalige jüdische Lebensgefährtin, die er während des Dritten Reiches als seine Ehefrau ausgab, aus allen kompromittierenden Kreisen, unter anderem auch aus dem Kreis um Harro Schulze-Boysen, zurück und „emigrierte“ als Drehbuchautor zur UFA.
Der Nationalsozialismus war für ihn – und Hitler voran – „der größte Verfälscher der deutschen Geschichte“. Salomons und der Deutschen Dilemma aber bestand darin, daß der Krieg auch ein deutscher Daseinskampf war und nicht nur rassenideologische Züge trug. So mußten sie zwangsläufig wieder in die Phalanx der nationalsozialistisch verfälschten deutschen Schicksalsgemeinschaft einscheren. Erst 1944 sollte dieser Schulterschluß endgültig aufbrechen.
Doch daß die Sieger des Weltkrieges diese Verfälschung der deutschen Nation und ihres Daseinsanspruches nur zu gerne aufgriffen und darüber die deutsche Identität zu zerstören suchten, sollte Ernst von Salomon nach seinem „automatic arrest“ von Mai 1945 bis September 1946 unverzüglich zum Kampf um deutsches Subjektbewußtsein treiben. Schon in amerikanischer Kriegsgefangenschaft war ihm klar geworden, daß sich die Maßnahmen der Besatzungsmächte und ihrer deutschen Handlanger „nicht gegen einen Angeklagten richtet, sondern gegen ein Volk, dem bewiesen werden soll, daß es keine anständigen Menschen hervorzubringen vermochte, und daß ihm zu dienen in jedem Falle unanständig war“. Dieses System aber empfand er als eines, „das eine fatale Ähnlichkeit mit jenem hat, das zu bekämpfen diejenigen Leute in der kleidsamen Uniform der Sieger in dieses Land gekommen sind“. Gerade die Sieger nämlich überschritten das Maß der von ihnen den Deutschen auferlegten moralischen Beschränkungen weiter als jemals jemand zuvor. Salomons Reaktion darauf war eindeutig: „… niemand mag es verargt werden, sich wohl zu hüten, mit einer Macht anzubinden, welche so groß ist, daß sie es in sich erträgt, die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki unter der Begleitung des Chorals ‚Onward Christian Soldiers!‘ platzen zu lassen, ohne dabei selber zu platzen.“
Ab Juni 1947 reifte in Ernst von Salomon der Plan, seine und die Geschichte der Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert niederzuschreiben und den Deutschen als Lesern wie in einem Spiegel vorzuhalten. Über den „Fragebogen“ hinaus noch bemühte er sich um Überwindung der ideologischen Weltbürgerkriegsfronten, die die Deutschen so unmittelbar spalteten. Sein Engagement, u.a. in den Reihen der aufkommenden und damals noch nicht eindeutig gesellschaftspolitisch orientierten Friedensbewegung, im Demokratischen Kulturbund Deutschland und für die Deutsche Friedens-Union brachte ihm jedoch Urteile und Verurteilungen ein, die von Unverständnis strotzten. Von „Nationalbolschewismus“ über „Unverbesserlichkeit“ bis hin zum „German enemy of Germany“ reichte die Spannweite der Urteile, und immer wieder nahm ihn die eine oder die andere Partei in Beschlag, berief sich auf ihn als Zeugen und Mitstreiter, während die andere ihn verdammte.
Nur seine tatsächliche Identität als unideologisch bestimmter Deutscher wollte oder sollte nicht ins Bewußtsein gelangen. Die „Objektisierung“ der Deutschen durch eine alle Bereiche erfassende langfristige geistige Umerziehung war zu weitgehend, die Bereitschaft der besiegten und individualisierten Einzelnen zum Identitätswechsel zu groß gewesen, um Ernst von Salomon zu folgen. Sein Erfolg, auch der des „Fragebogens“, blieb allein ein literarischer.
Absolute Toleranz gegen jede politische Idee
Sein Versuch, die Staatsidee Preußens in seinem posthum veröffentlichten Werk „Der tote Preuße“ zu erklären und plausibel zu machen, wurde aufgrund des nur zu einem Drittel fertiggestellten Torsos ein Fehlschlag. Daß er sich als Schriftsteller und Drehbuchautor durch Trivialitäten seinen Lebensunterhalt und den seiner 1948 gegründeten Familie sichern mußte, wurde ihm zusätzlich noch verübelt. Doch mit Veröffentlichungen im Zusammenhang mit seiner Bemühung um deutsche Selbstbehauptung war mit zunehmendem Alter der damaligen Bundesrepublik kein Geld mehr zu verdienen. Je weiter die um die Jahrhundertwende geborene Generation von der Bühne abtrat, desto geringer wurde der Bedarf und das Verständnis für solche Bemühungen. Spätestens 1968 war Ernst von Salomon zum lebenden und unverstandenen Fossil geworden – selbst für seine eigenen Nachkommen. Am 9. August 1972 starb er in Stöckte (Winsen/Luhe).
Ernst von Salomon ist das verkörperte Abbild des 20. Jahrhunderts, ist Exponent eines deutschen Geschichtsabschnitts, der – mit größerem Abstand – dereinst erneut „die deutsche Romantik“ genannt werden könnte. Leidenschaftlich beteiligt an den vielschichtigen Abenteuern seiner Zeit repräsentiert er die oft fatalen Wirren und Brüche, die Manipulationen und Mißbräuche, mit denen die Deutschen in „seinem“ Jahrhundert konfrontiert waren. Sein Leben stellt subjektiv wie objektiv eine stellvertretende Kontinuität dar, nämlich die der Deutschen in eben jener Zeit, die so von Ideologien überfrachtet war. An ihm ist die Geschichte und das wegen der dauernden Verfälschung zwangsläufige Scheitern der im eigentlichen Sinne – um ihrer Identität willen – unideologischen Deutschen in dieser Epoche nachzuvollziehen.
Salomons auf Schiller zurückgehender Idealismus, sein Engagement für absolute Toleranz gegen jede politische Idee macht ihn heute noch interessant. Nach dem Zusammenbruch der ideologischen Nachkriegsidentitäten, die die Deutschen so lange quer durch alle Lager getrennt haben, und dem darauf folgenden universalistisch verabsolutierten Unilateralismus der US-Amerikaner und ihrer willfährigen deutschen Erfüllungsgehilfen mit erneuter Frontstellung gegen Rußland, wäre ein Wiederentdeckung von Salomons in Deutschland so begrüßenswert wie selten zuvor. Vielleicht könnten die Deutschen über ihn endlich einen unideologischen Zugang zu ihrer Geschichte und damit zu sich selbst und ihrer politischen Existenz und Zukunft finden.
Markus Klein legte 1994 die erste Monographie Ernst von Salomon als Dissertation vor.
Ernst von Salomon.
Revolutionär ohne Utopie
mit einer vollständigen Bibliographie
und einem Vorwort von Armin Mohler
400 Seiten, Softcover, zahlr. Abbildungen
2. aktualisierte und ergänzte Auflage
San Casciano Verlag, Aschau i.Ch. 2002,
ISBN 978-3-928906-16-6
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